Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) – CD der Woche (CD of the Week)
Und wenn ich ein Tischler wäre?
Nennt es Pubrock, nennt es Postpunk: Die kalifornische Band The Airborne Toxic Event macht Poesie, zu der man tanzen kann, traditionsgesättigt und mit Riffs an der richtigen Stelle.
By Edo ReentsJuly 10, 2009
Wenn man diese Platte flüchtig anspielt, dann möchte man abwinken: schon wieder eine dieser Postpunk-Bands, deren Mitglieder mehr Zeit vor dem Spiegel verbringen als mit dem Stimmen ihrer Instrumente. Selbst wenn sie es täten – die Instrumente funktionieren, und am Äußeren ist, wie oben zu sehen, auch nichts auszusetzen. Das unbetitelte Debüt gehört zu den schmissigsten, bündigsten Rockplatten der vergangenen Jahre, voller guter Einfälle, reizvoller Akkordwechsel und gefälliger Melodien, wie sie auf die LP-Distanz nur ganz wenige Band hinbekommen.
Die Strokes und die Kooks, die Fratellis und die Thermals, Razorlight und wie die Mucker alle heißen, müssen sich jedenfalls warm anziehen. Und wenn man dann noch hört, dass der Sänger, Rhythmusgitarrist und Hauptsongschreiber Mikel Jollett eigentlich Tischler von Beruf ist – „I used to be a carpenter“, sagt er, das klingt so schön nach Tim Hardin! – und nach getaner Arbeit, mit schmerzendem Rücken im wesentlichen nur noch Bier trinken will. Damit haben sie schon gewonnen.
Tanzbare Poesie
Aber das ist ein aus Sympathie vergebener Vorschuss, wie man ihn auch Bands geben kann, die nur Fußball im Kopf haben. Die Wahrheit liegt immer noch auf dem Plattenteller, und da ist denn zu sagen, dass The Airborne Toxic Event alles richtig gemacht haben. Sie wissen um die verführerische Kraft von Rockklischees und haben, obwohl ihre Aufmachung anderes vermuten ließ, mit dem in letzter Zeit wieder so gängigen informierten Kunststudentenrock nichts zu tun. Es ist, wie es ihre Heimatzeitung, die „Los Angeles Times“, in hoffentlich aufrichtiger Bewunderung formulierte, „Poesie, zu der man tanzen kann“.
Zu verhältnismäßig dichten Texten, die einen entschieden skeptischen, auf Desillusion zielenden Geist atmen und nicht nach dem klassischen Strophe-Refrain-Schema angeordnet sind, schnurrt die bestens geölte Maschine ab, und alles hört sich an, als würden die durchgekauten Wahrheiten hier zum ersten Mal serviert. „Wishing Well“ klingt nach dem Springsteen von „Born To Run“ und dessen Nachmachern von The Hold Steady; „Papillon“ puckert wie die schnellen Songs der hierzulande leider immer noch so gut wie unbekannten britischen Dogs; dann kommt auch schon der erste Höhepunkt: „Gasoline“ hört sich erst an wie „Roxy-Music-Imitat („Love is the Drug“), aber das täuscht. Hier übernehmen die Rabiatheit von The Jet und die betont rotzige Ättitüde der ersten Razorlight-Platte schnell das Kommando, das Tempo ist beachtlich, aber immer noch tanzbar.
Die Gitarren (neben Jollett Steven Chen) sind da, wo sie hingehören – ganz vorne –, aber Bass (Noah Harmon) und Schlagzeug (Daren Taylor) sind auch nicht zu überhören und verrichten hier wie überall kraftvoll ihre Arbeit; nur was die ohnehin kaum zu hörende Violine (Anna Bulbrook, die auch Keyboard spielt) in der Besetzung zu suchen hat, versteht man nicht so richtig. Vielleicht ist das eine Reminiszenz an Velvet Underground.
Überbewertete Fröhlichkeit
Am reizvollsten klingt die Band, wenn sie sich dem Pub- und Glamrockgestampfe hingeben, wie es die Fratellis wieder hoffähig gemacht haben; die entsprechenden Titel gehören in ihrer Entschlossenheit denn auch zu den überzeugendsten des Albums. Aber The Airborne Toxic Event liefern auch die raffinierten Synthesizer-Schwelgereien, wie sie Spätsiebziger/Frühachtziger-Attraktionen wie Blondie, Icehouse oder Orchestral Manoeuvres In The Dark schon im Repertoire hatten. Und die in Amerika bereits durchschlagend erfolgreiche Single „Sometime Around Midnight“ fängt mit Streichern an (Anna Bulbrook nun doch in ihrem Element), die klingen wie Mascagnis „Cavalleria Rusticana“, so dass man fast meint, Martin Scorsese, der ja auch ein Rocker ist und diese und ähnliche Klänge schon mehrmals sehr wirkungsvoll eingesetzt hat, säße an den Reglern.
Aber dann nimmt auch dieses Lied Fahrt auf, der romantische Eckensteher-Geist, die Stimmung einsamer, verregneter Abend wehen hinein, bevor dann alles, nun ganz nach Art der an sich so scheußlichen achtziger Jahre, zerbröselt wird. Ärgerlich ist nur, dass die Albumversionen uneinheitlich sind, drei gleichfalls sehr gut Bonus-Titel gibt es nur in der britischen Ausgabe.
Insgesamt ist die Musik von The Airborne Toxic Event geprägt von einer lauernden Nervosität, die wenig zutraulich erscheint. Ob es das ist, was die Band auch bei der absoluten Prominenz in Amerika so beliebt macht? Mikel Jollett hätte dafür Verständnis. Seine Hauptsorge aber ist, dass ihm nun, wo die Band so erfolgreich ist, keine Zeit mehr zum Schreiben bleibt. Im Bus herumzureisen (im August auch durch Deutschland!) und mit Freunden herumzuhängen, sei alles gut und schön, „I’m happy, but it doesn’t make a lot of sense to me“. Wie sagt er aber selber in einem Lied? „Happiness is Overrated“. Nichts gegen Bücher, aber ein Mann wie er muss wissen, was er zu tun hat.